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Leistungen zwischen Praxisgemeinschaften und ihren Mitgliedern

Bundesfinanzhof bestätigt Berufung auf unionsrechtliche Steuerbefreiung bis 2020
Leistungen zwischen Praxisgemeinschaften und ihren Mitgliedern
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28.01.2025 — Lesezeit: 6 Minuten

Leistungen zwischen Praxisgemeinschaften und ihren Mitgliedern

Bundesfinanzhof bestätigt Berufung auf unionsrechtliche Steuerbefreiung bis 2020

Die Reichweite der Steuerbefreiung von Heilbehandlungsleistungen war schon mehrfach Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich nun mit Beschluss vom 4. September 2024 (XI R 37/21) zur Steuerbarkeit von Geschäftsführungsleistungen einer Praxisgemeinschaft und zur Reichweite der Steuerbefreiung nach EU-Recht (Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL) geäußert.

Praxisgemeinschaft mit zusätzlichen Leistungen

Eine Praxisgemeinschaft, bestehend aus zwei Ärzten (A und B), nutzte gemeinsam Praxisräume, Einrichtungen und Personal. Die Gemeinschaft stellte ihren Mitgliedern diese Ressourcen zur Verfügung und verlangte dafür lediglich die Erstattung der gemeinsamen Kosten. Die Praxisgemeinschaft erbrachte auch Reinigungsleistungen und andere Verwaltungsaufgaben für ihre Mitglieder. Eines der Mitglieder (A) übernahm dabei auch Geschäftsführungsleistungen, die entsprechend vergütet wurden.

Jeder Gemeinschafter übte nach dem Gemeinschaftsvertrag seine ärztliche Tätigkeit in eigenem Namen und auf eigene Rechnung aus. Die Praxisgemeinschaft übernahm die zuvor bei Arzt A beschäftigten medizinischen Fachangestellten sowie eine Büro- und Rezeptionskraft. Des Weiteren wurde eine Raumpflegerin eingestellt, die die Praxisräume reinigte. Darüber hinaus schloss die Gemeinschaft mit einer Krankengymnastin, einer Heilpraktikerin sowie einer Diplompsychologin jeweils einen „Freien-Mitarbeiter-Vertrag“.

Was war strittig?

Im Rahmen einer bei der Praxisgemeinschaft durchgeführten Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, dass die Praxisgemeinschaft als Unternehmerin anzusehen sei. Sie habe an ihre Gemeinschafter steuerbare Leistungen gegen Entgelt erbracht. Diese Leistungen seien umsatzsteuerpflichtig, soweit sie nicht in der steuerfreien Überlassung von Räumlichkeiten bestünden oder unmittelbar für steuerfreie Heilbehandlungen verwendet worden seien. Dies betreffe die Verwaltungstätigkeiten für die Gemeinschafter sowie Arbeiten bei der Erstellung der Abrechnungen und des Zahlungsverkehrs, die Praxisorganisationsleistungen und die Raumpflege.

Die Leistungen an Krankenversicherungen und Privatpatienten im Zusammenhang mit den von den freien Mitarbeiterinnen durchgeführten Kursen und Behandlungen rechnete die Prüferin nicht der Praxisgemeinschaft, sondern dem Arzt A zu.

Das Finanzamt erließ dementsprechend einen erstmaligen Umsatzsteuer-Jahresbescheid, in dem es die Umsatzsteuer festsetzte. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Die Gemeinschaft sei keine reine Innengesellschaft. Sie habe mehrere Verträge mit Dritten in eigenem Namen abgeschlossen. Die Steuerpflicht folge aus einer eigenen, umsatzsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinschaft. Die Erstellung von Leistungsabrechnungen gegenüber Krankenversicherungen, die Verwaltungstätigkeiten für die Gemeinschafter, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, die Praxisorganisation und die Raumpflege würden daher nicht unter die nationale Steuerbefreiung fallen.

Hintergrund: Regelungen zur Steuerfreiheit

Zum 1. Januar 2020 wurde im Umsatzsteuergesetz der § 4 Nr. 29 eingeführt. Er regelt die Steuerbefreiung für Leistungen von Kostentragungsgemeinschaften. Diese Gemeinschaften bestehen aus mehreren Unternehmern, die sich zusammenschließen, um Leistungen gemeinschaftlich zu beziehen und die Kosten zu teilen. Die Steuerbefreiung gilt unter folgenden Voraussetzungen:

  • Die Gemeinschaft erbringt Dienstleistungen unmittelbar an ihre Mitglieder für deren steuerbefreite Tätigkeiten.
  • Das Entgelt besteht in der reinen Kostenerstattung.
  • Es entsteht keine Wettbewerbsverzerrung durch die Steuerbefreiung.

Vor der Einführung dieser Vorschrift hatten Praxisgemeinschaften nur die Möglichkeit, sich direkt auf EU-Recht in Form der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) zu berufen, da die nationalen Steuerbefreiungsvorschriften von der Verwaltung eng ausgelegt wurden und nur die Dienstleistungen im Gesundheitsbereich umfassten.

Der Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der MwStSystRL sieht vor, dass Dienstleistungen, die von selbständigen Zusammenschlüssen von Personen erbracht werden, die eine von der Steuer befreite Tätigkeit ausüben oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, steuerfrei sind. Dies gilt unter den gleichen Bedingungen, die später im § 4 Nr. 29 UStG geregelt wurden.

Unternehmereigenschaft und Leistungsaustausch

Das neue BFH-Urteil beschäftigt sich mit zwei wichtigen Fragen. Der BFH stellt klar, dass eine Praxisgemeinschaft – entgegen ihrer Bezeichnung als „Gemeinschaft“ eine Gesellschaft sein kann, wenn diese zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks nach außen auftritt und Leistungen bezieht, die sie zur Kostendeckung an ihre Gesellschafter weiterberechnet.

Der BFH bestätigte auch die Auffassung der Vorinstanz, dass das Entgelt der Praxisgemeinschaft gegenüber den Gesellschaftern nicht die Geschäftsführungsleistungen eines Gesellschafters für die Innenorganisation der Praxisgemeinschaft umfasst. Diese führten „nicht ohne weiteres“ zu einer Leistungsabgabe durch die Praxisgemeinschaft. Nur die eigenen von außen bezogenen Eingangsleistungen für die erbrachten Dienstleistungen als konkrete (verbrauchsfähige) Vorteile (Praxisräume, Einrichtungen, Personal etc.) würden danach zum Entgelt zählen. Der BFH begründet dies damit, dass der leistende Gesellschafter andernfalls selbst Leistungsempfänger seiner eigenen (Geschäftsführungs)Leistung sein würde.

Berufung auf EU-Recht möglich

Der BFH bestätigt auch erstmals die Berufung auf die Umsatzsteuerbefreiung nach EU-Recht in Form des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Praxisgemeinschaft hierfür lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert und aufgrund der Gewährung der Steuerbefreiung keine Wettbewerbsverzerrungen drohen.

Der BFH bestätigt im Übrigen die Auslegung des Finanzgerichts (FG), wonach die streitigen Reinigungsleistungen und die Tätigkeiten der freien Mitarbeiterinnen unmittelbar für Zwecke der Ausübung der steuerfreien Tätigkeiten des A und B (Heilbehandlungen) erbracht wurden. Laut BFH dient dies dem Zweck, dass Unternehmer nicht Mehrwertsteuer entrichten müssen, wenn sie genötigt sind, mit anderen Berufsausübenden im Rahmen einer gemeinsamen Struktur zusammenzuarbeiten, die Tätigkeiten übernimmt, die zur Erbringung dieser Dienstleistungen erforderlich sind. Als Fazit bestätigte der BFH das Urteil des FG, bei dem die Umsatzsteuer auf 0 Euro reduziert wurde.

Bei den durch die Praxisgemeinschaft übernommenen Abrechnungsleistungen musste aufgrund der Anwendung der Kleinunternehmerregelung leider nicht in der Sache entschieden werden, ob diese Leistungen ebenfalls und in voller Höhe als umsatzsteuerfrei behandelt werden konnten.

Einschätzung und Handlungsempfehlung von ETL ADVISION

Die Bestätigung der Berufung auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung durch den BFH für die Jahre vor 2020 ist zu begrüßen, auch wenn diese Entscheidung im Grunde bereits seit der Grundsatzentscheidung des EuGH vom 21.09.2017 (C-616/15) überfällig ist. Offene Verfahren können nun unter Hinweis auf die Entscheidung wiederaufgenommen und positiv entschieden werden.

Für Praxisgemeinschaften liefert das neue BFH-Urteil vor allem wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Leistungsbeziehungen von Praxisgemeinschaften und ihren Gesellschaftern. Die positive Entscheidung des BFH im vorliegenden Streitfall sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Leistungsbeziehungen im jeweiligen Einzelfall immer sehr genau geprüft werden müssen. Denn in der Sache kann selbst nach derzeit geltendem Recht Umsatzsteuer entstehen, wenn die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG nicht greift.

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